Fehlerhafte Arzneimittelverordnungen

Kassen dürfen Regress verlangen

Für die meisten Arzneimittel benötigen Patienten hierzulande ein Rezept. Bei fehlerhafter Abgabe können die Krankenkassen dafür getätigte Ausgaben von den Apotheken zurückfordern. Welchen Regeln die sogenannte Retaxierung folgt, warum die Betriebskrankenkassen die derzeit diskutierte Nullretaxierung ablehnen und welche Lösungen sie mit Blick auf künftige Regelungen vorschlagen, lesen Sie im folgenden Hintergrundstück.

bunte Tabletten

Das Verschreiben eines Arzneimittels durch Ärzte, die Versorgung der Patienten mittels Rezept und die Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen unterliegt in Deutschland besonderen Regeln. Erstens ist der Vertragsarzt oder die Vertragsärztin allein für das Ausstellen der individuellen Verordnung verantwortlich. Zweitens übernehmen die Apotheken eine wichtige Kontrollfunktion. Sie überprüfen, ob eine Arzneimittelverordnung korrekt ausgestellt ist. Ein Rezept muss zum einen vollständig sein, also etwa Datum, Name und Unterschrift des behandelnden Arztes beinhalten. Zum anderen muss das Medikament eindeutig identifizierbar sein. Das funktioniert über den vollständigen Fertigarzneimittelnamen oder die Angabe des Wirkstoffs, der Wirkstoffstärke und der Darreichungsform.

Apotheken müssen fehlerhafte oder unklare Rezepte korrigieren

Den Apothekerinnen und Apothekern kommt bei der Überprüfung eines Rezeptes eine besondere Verantwortung zu. In ihrer Hand liegt es, Fehler oder Unklarheiten in der Arzneimittelverordnung zu finden und gegebenenfalls zu korrigieren. Ein falsch verschriebenes Medikament kann beim Patienten zu unerwünschten Nebenwirkungen, im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen. So leisten Apothekerinnen und Apotheker einen wichtigen Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit.

Korrektur des Rezepts in eigenem Ermessen oder nach Rücksprache mit behandelnden Ärzten

Grundlage der Arzneimittelabgabe hierzulande ist die Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO). „Enthält eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist“, heißt es darin. Um fehlerhafte Rezepte zu korrigieren, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Entweder kann der Apotheker den Fehler selbst beheben oder diesen in Rücksprache mit dem Verschreibenden der Arzneimittelverordnung korrigieren.

Bei fehlerhafter Arzneimittelabgabe Rückforderung (Retaxierung) der Kosten

Unterläuft der Apotheke ein Fehler bei der Abgabe eines Arzneimittels, haben die Krankenkassen die Möglichkeit, die Apotheke in Regress zu nehmen. In bestimmten Fällen können sich die Kassen dabei bis zu hundert Prozent der auf dem Rezept ausgewiesenen Kosten der Arznei von der Apotheke rückerstatten lassen. Der Rahmenvertrag SGB V über die Arzneimittelversorgung liefert hierfür die gesetzliche Grundlage. Der dort enthaltene Sanktionsmechanismus dient der Therapiesicherheit der Patienten. 

So funktionieren Abrechnung und Retaxierung von Arzneimittelverordnungen

Die Krankenkassen prüfen die Abrechnung von Arzneimittelverordnungen in der Regel sechs bis neun Monate nach der Abgabe des Medikaments. Fällt den Krankenkassen hierbei ein Fehler auf, kündigen sie die Kürzung zunächst nur an. Das gibt den Apotheken die Gelegenheit, Widerspruch einzulegen. Die Krankenkasse muss diesen in einer engen Frist prüfen.

Bei einer Abrechnungskürzung erhält die Apotheke einen gekürzten Betrag auf die von ihr in Rechnung gestellte Leistung. Dieser ergibt sich aus der Differenz zwischen ursprünglich vermerktem und korrigiertem Abrechnungsbetrag. Konkrete Beispiele hierfür sind Berechnungsfehler etwa bei individuellen Rezepturen, die Abgabe einer falschen Packungsgröße oder die Berechnung von mehr Packungen als verordnet.

Zu Zurückweisungen kommt es, wenn die Apotheke die Verordnung beim falschen Kostenträger eingereicht hat. Abgesetzt wird dabei der volle Abrechnungsbetrag. Die Apotheke kann das Rezept allerdings erneut bei der tatsächlich zuständigen Krankenkasse einreichen.

Nullretaxierungen werden etwa bei Fehlbelieferungen oder schwerwiegenden Verstößen gegen die gesetzlichen und vertraglichen Regelungen vorgenommen. Eine Fehlbelieferung ist beispielsweise die Abgabe eines Arzneimittels, das nicht auf dem Rezept steht. Ein schwerwiegender Verstoß ist beispielsweise die Abrechnung einer Verordnung ohne Arztunterschrift, der offensichtliche Rezeptmissbrauch und eine Gefährdung der Arzneimitteltherapie- oder Patientensicherheit. In diesen Fällen ist eine Korrektur der Rezeptabrechnung ausgeschlossen. Bei besonders schweren Verstößen verbietet sich eine Vergütung durch die Krankenkassen.

E-Rezept wird die Rezeptprüfung vereinfachen

Perspektivisch wird das flächendeckende E-Rezept den Arbeitsaufwand für Apothekerinnen und Apotheker erheblich reduzieren. Die unmittelbare Übermittlung aller Rezeptinformationen via Datensatz des E-Rezepts wird die Abrechnung der Apotheken zukünftig erleichtern. Bestimmte Fehler auf der Papierverordnung können bei der elektronischen Übermittlung nicht mehr auftreten. Hierzu gehören zum Beispiel die fehlende Arztunterschrift oder eine unleserliche Handschrift. Auch ist eine elektronische Verordnung nur 28 Tage einlösbar. Danach ist das E-Rezept nicht mehr gültig und eine Abrechnung seitens der Apotheken nicht mehr möglich.

Klärung von Rückfragen ab Ende 2023 per Telematik-Messenger

Ab Ende 2023 werden Leistungserbringer wie Vertragsärzte sowie Apotheker über TIM, den Messenger der Telematik, miteinander kommunizieren. Damit steht ein einfacher, sicherer und schneller Weg zur Verfügung, um Rückfragen zu einem Rezept zu klären. Andersherum können auch Ärzte sich zu Arzneimitteln oder Lieferengpässen bei einer Apotheke einfach und unbürokratisch erkundigen.

Betriebskrankenkassen lehnen Nullretaxierung in der derzeitigen politischen Diskussion ab

Die aktuelle politische Diskussion im Rahmen der Gesetzgebung zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln dreht sich um den potenziellen Verzicht auf die sogenannte Nullretaxierung. Nullretaxierung bedeutet, dass Apotheken, denen ein Fehler bei der Arzneimittelabgabe unterlaufen ist, für die Medikamentenabgabe keine Vergütung erhalten. Die Betriebskrankenkassen lehnen den Verzicht auf die Nullretaxierung insbesondere bei rabattierten Arzneimitteln ab. Denn aus unserer Sicht liefert die derzeit gültige Regelung eine probate Grundlage für die praktische Umsetzung von Rabattverträgen.

Rabattverträge sichern Wirtschaftlichkeit der GKV mithilfe der Apotheken

Neben der Arzneimitteltherapiesicherheit müssen die Apotheken auch eine wirtschaftliche Arzneimittelversorgung sicherstellen. Die wirtschaftliche Versorgung innerhalb der GKV gehört zu den Grundprinzipien der solidarischen Krankenversicherung. Alle Leistungserbringer sind der Wirtschaftlichkeit verpflichtet. Konkret müssen Apotheker günstige Medikamente auswählen und gegen Rabattarzneimittel austauschen. Diese Regelung ist die wichtigste Grundlage für sogenannte Rabattverträge zwischen den Krankenkassen und den Arzneimittelherstellern. Besteht ein Rabattvertrag, muss die Apotheke das verordnete Medikament gegen das rabattierte Arzneimittel austauschen. Nur in Einzelfällen kann die Apotheke von dieser Regelung abweichen und ein anderes Arzneimittel abgeben. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Rabattmedikament nicht lieferbar ist oder pharmazeutische Bedenken bestehen. Den Grund fürs Abweichen von der Regel muss die Apotheke auf dem Rezept dokumentieren.

Vertraulichkeit der Rabatte sichert die Höhe der Einsparungen für die GKV

Rabattverträge basieren auf Vertraulichkeit. Krankenkassen dürfen die mit den Pharmaunternehmen vereinbarten rabattierten Arzneimittelpreise nicht kommunizieren. Wegen dieser Vertraulichkeit könnten Krankenkassen bei einer teilweisen Retaxierung nur auf die Listenpreise zurückgreifen. Vor allem bei sogenannten Nachahmer-Medikamenten (Generika) unterscheiden sich die verschiedenen Listenpreise nur marginal. Die meisten Rabattverträge gibt es im Generika-Bereich.

Rabatteinnahmen in Höhe von gut 5,5 Milliarden Euro

Derzeit erhalten die Krankenkassen gut 5,5 Milliarden Euro Rabatte pro Jahr von den Arzneimittelherstellern. Rund 75 Prozent davon entfallen auf Generika. Mit dem aktuell diskutierten Verzicht auf die Nullretaxierung würden mehr als vier Milliarden Euro an Rabatteinnahmen wegfallen. Das entspricht den derzeitigen monatlichen Kosten für Arzneimittel in der GKV.

Lösungsvorschläge des BKK Dachverbandes zur künftigen Retaxierung

Krankenkassen retaxieren nur, wenn die Arzneimittelabgabe vorschriftswidrig war. Das Instrument sichert nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Steuerungsfähigkeit der sozialrechtlichen Normen. Auf der einen Seite müssen die Krankenkassen bei klaren Verstößen daher weiterhin die Nullretaxierung nutzen können. Anderenfalls haben die Apotheken keinen Anreiz, sich vertragskonform zu verhalten.

Weiterhin Retaxierung bei nicht verfügbaren Arzneimitteln

Ein generelles Verbot der Retaxierung beim Austausch eines Arzneimittels im Falle der Nicht-Verfügbarkeit lehnt der BKK Dachverband ab. Dieses sieht die Kabinettsfassung des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) vor und wird in den Empfehlungen des Bundesrats noch erweitert.

Krankenkassen sollten Rezepte weiterhin prüfen dürfen

Führt die Apotheke den Austausch korrekt nach Gesetz und Rahmenvertrag durch, hat die Krankenkasse keine Grundlage, um eine Retaxierung bezüglich des Arzneimittels durchzuführen. Retaxierungen von Formfehlern erfolgen ebenfalls nicht. Zudem sollten Krankenkassen Arzneimittelrezepte weiterhin auf Fehler prüfen dürfen. Auch die Überprüfung der Abgabe von rabattierten Medikamenten muss weiterhin möglich sein.  Denkbar wäre außerdem die Einführung einer Vertragsstrafe für Apotheken, wenn grundsätzlich lieferfähige Rabattarzneimittel nicht abgegeben wurden.

Praxissoftware der Vertragsärzte optimieren

Vertragsärzte müssen eine durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zertifizierte Praxissoftware einsetzen, über die sie auch Arzneimittel verordnen. Die Anforderungen an die Verordnungssoftware werden zwischen der KBV und dem GKV-Spitzenverband verhandelt. Die Praxissoftware könnte bestimmte Fehler auf den Rezepten verhindern. Allerdings konnten sich die Beteiligten bislang nicht auf eine entsprechende Optimierung der bereits vorhandenen Praxissoftware einigen. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass einzelne Softwarehersteller bereits ausgehandelte Zertifizierungsvorgaben nicht vollständig umsetzen. Apotheken erhalten derzeit vereinzelt unvollständige Rezepte. Dabei könnte eine entsprechend programmierte Software für korrekt ausgestellte Rezepte sorgen.  

Entlassrezepte der Krankenhäuser verbessern

Krankenhausärzte stellen noch zu oft fehlerhafte Entlassrezepte aus. Für die Verordnungen von Arzneimitteln im Krankenhaus gelten dieselben Regeln wie in der Arztpraxis. Auch die Vorgaben zur Wirtschaftlichkeit gelten analog. Ebenso dürfen die Krankenhäuser Rezepte nur mit einer zertifizierten Software ausstellen. Allerdings setzen viele Kliniken diese Vorgabe nur unzureichend um. Es fehlt aktuell eine Nachweispflicht für zertifizierte Software.

Auf Entlassrezepten fehlt häufig die Arztnummer

Häufig stellen Krankenhausärzte Entlassrezepte ohne eine korrekte Arztnummer aus. Nicht selten stehen zudem zu große Packungsgrößen auf dem Entlassrezept. Aktuell ist nur die Verordnung der kleinsten Packung, einer sogenannten N1-Packung, auf dem Entlassrezept zulässig. Dieses können Apotheken jedoch leicht selbst korrigieren, in dem sie lediglich eine kleine Packung abgeben. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass eine kleine Packung für die Überbrückung des Zeitraums zwischen Entlassung und Besuch der ambulanten Arztpraxis nicht immer ausreichend ist. Hier gilt es, nachzubessern und den Krankenhausärzten im Entlassmanagement mehr Möglichkeiten zu geben. Auch häufen sich Fehler bei der Berechnung der Abgabefrist bei Entlassrezepten. Entlassrezepte sind nur drei Werktage gültig. Apotheken rechnen häufig Verordnungen ab, deren Gültigkeit schon abgelaufen ist. Das retaxieren die Krankenkassen. Hier könnte eine gezielte Information der Apotheken Abhilfe schaffen.

Kontakt

Dr. Christina Diessel
Referentin Arzneimittel

  • +49 30 2700 406 - 405
  • Nachricht schreiben
  • Visitenkarte herunterladen

Kontakt

Natalie Kohzer
Referentin Arzneimittel

  • +49 30 2700 406 - 406
  • Nachricht schreiben
  • Visitenkarte herunterladen